Osterholzer Kreisblatt vom 02.01.2008

Zum Artikel "Politiker leben hinterm Moor" vom 20.12.2007

"Denn sie wissen nicht, was sie tun"

Mit "Denn sie wissen nicht, was sie tun" hätte man den Artikel auch betiteln können, denn die Gefahren, auf die hier von einigen - wie immer wenigen engagierten Menschen - hingewiesen wird, sind nicht von der Hand zu weisen. Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass anerkannte Fachleute auch die Abstrahlungen von Bildschirmen (oder auch Handys) als zum Teil bedenklich einstufen. In diesem Zusammenhang fehlen bis heute gänzlich wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkungen dieser unterschiedlichen Strahlenbelastungen auf den heranwachsenden Organismus. Aber, ich befürchte mal, dass das in dieser Stadt nur wenige Eltern, Lehrer oder Verantwortliche der Stadtverwaltung interessieren dürfte, denn man sitzt gerade so nett beisammen im ICE in die Moderne. Und da wird man sich weder von Ihnen noch von anderen "Miesmachern" die rasante Fahrt vermiesen lassen. In den vergangenen Wochen haben hunderte Eltern in dieser Stadt der Realschule (Anfang des Jahres '07 bereits die

Elternschaft der IGS) unterschrieben, dass ihre Kinder an dem von der Kultusbehörde Niedersachsens viel gepriesenen Internetprojekt ISERV teilnehmen dürfen.

Seither surfen Kinder dieser Stadt mit städtischem Segen mit ihrem kompletten Namen, Namen der Schule und dem Kürzel der Stadt (Beispiel: LisaMüller@realschule-ohz) durchs Internet, um nur einen Schwachpunkt dieses Projekts zu bennen. Einmal davon abgesehen, dass dieser laxe Umgang mit den persönlichen Daten von Kindern (!) schon allein medienpädagogisch ein Skandal darstellt, scheint auch kaum jemand begriffen zu haben, dass gerade Kinder, als schwächste Mitglieder der schönen neuen Medienwelt, besonders zu schützen sind. "Ich find's toll, dass mir mal einer erklärt was Analsex ist und mir auch gleich Bilder mitgeschickt hat", erklärte mir ein Neuntklässler der Realschule vor ein paar Monaten in einem Interview ernsthaft begeistert. Ein Mädchen der gleichen Schule fand es klasse, dass man da so viel "lernen kann und so viele Leute trifft, die man nicht kennt..." Sie gab weiter an, regelmäßig mit Leuten aus dem Internet, die ihre Eltern natürlich nicht kennen, zu telefonieren. Auf den

Inhalt dieser Telefonate gehe ich hier besser nicht ein. Beides übrigens ganz normale Kinder aus ganz normalen Elternhäusern. Anerkannte Fachleute (Prof. Pfeiffer, Hannover, Prof. Spitzer, Ulm, Prof. Hüther, Göttingen) weisen seit Jahren nach, dass der steigende Medienkonsum Heranwachsender sich auf die Entwicklung des Gehirns und die Lernfähigkeit von Kindern insgesamt negativ auswirken, mal von der Bestrahlung "von außen" ganz abgesehen.

Stets wird pro Neue Medien argumentiert, dass Kinder die Nutzung der neuen Medien in Vorbereitung auf ihren späteren Berufsweg erlernen müssten. Mal sachlich betrachtet: Was meinen Sie: Wie viel neue Medien braucht ein Kind, um physisch und seelisch gesund erwachsen zu werden? Benötigt jemand, der heute eine Ausbildung in der Metallverarbeitung macht, sechs bis acht Jahre PC- und Internetschulung, inklusive der Schattenseiten, um erfolgreich zu sein? Wohl kaum.

Ausreichende Lese-, Rechtschreib- und Mathematik-Kernkompetenzen der Kinder werden von Ausbildungsbetrieben oder auch Universitäten verlangt, aber leider seit Jahren nicht "geliefert". Viele Eltern und auch Lehrer haben keine Ahnung, welcher Geist hier aus der Flasche gelassen wird, trauen sich aber nicht ihre Unkenntnis zu äußern. Auch ein Aspekt der Moderne, denn wer will schon als Unmodern dastehen. Für die Kinder wäre es aber wichtig, dass ein paar mehr Menschen aufstehen, mal genauer nachfragen und Mut zu einer kritischen Auseinandersetzung zu diesem Themenkomplex finden.



BEATE KRAFFT-SCHÖNING, OHZ